Ein Bügel, der Geschichte erzählt

Die Emigration des Magdeburger Ehepaares Oppenheim



Unerwartet wurde das Dokumentationszentrum 2021 von einem interessierten Mann aus Dresden angeschrieben, der über eine Online-Recherche des im Rundbrief der Stiftung Gedenkstätten 1/2021 veröffentlichten Artikel (von Anna Skiba) zur Magdeburger Familie Oppenheim gefunden hatte.

Er erzählte, dass er gerade den Hausstand seiner verstorbenen Tante aus Biederitz auflösen würde und dort einen Kleiderbügel mit der Aufschrift „Pelz-Sternau Magdeburg“ gefunden hatte. Schnell stellte sich heraus, dass es sich tatsächlich um einen Bügel aus einem Magdeburger Pelzwarengeschäft handelte, das bis 1939 in dem Besitz der Familie Oppenheim gewesen ist. Für mich war das insofern interessant, als dass ich über eben jene Familie 2017 meine Bachelor-Arbeit geschrieben hatte. Durch eine gemeinsame weiterführende Recherche mit einem Ahnenforscher 2021 haben wir herausgefunden, dass Max Ludwig Oppenheim 1949 in Johannesburg gestorben ist. Rika Sander verstarb dort 1963. Ihr Urenkel wurde 1985 in Minnesota geboren. Dort leben die Nachfahren der Familie Oppenheim bis heute. Das Dokumentationszentrum steht im Kontakt mit dem Urenkel um gemeinsam mehr über die Familiengeschichte zu erfahren.

Ohne das Interesse an dem alten Kleiderbügel wären wir wohl niemals auf die Spur der Nachfahren der Familie Oppenheim gekommen. Mit den überlieferten Akten aus Landesarchiv konnte nur die Emigration des Ehepaares 1939 rekonstruiert werden, dort fand sich jedoch kein Hinweis auf das Leben der Oppenheims nach ihrer Ankunft im Exil.

Zum familiären Hintergrund der Oppenheims:

Bei dem Ehepaar Oppenheim handelt es sich um eine emanzipierte jüdische Familie aus Magdeburg, die engagiert in der örtlichen Israeliten-Gemeinde war. Max Ludwig Oppenheim, geb. 1874 in Heiligenstadt, dessen Vater Levi Oppenheim selbst Kaufmann war, und Rika Sander, geb. 1883 in Steinfurt, verwitwete Sternau, führten ein selbstständiges und erfolgreiches Handelsunternehmen mit Namen „Pelz- und Rauchwarengeschäft Rika Sternau“ (auch „Pelz-Sternau“) am Alten Markt 32/33. Im Landesarchiv Sachsen-Anhalt ist der Fall des Ehepaares Oppenheim für die Jahre 1938 bis 1941 in mehreren Akten dokumentiert. Die Aktenüberlieferung beginnt im Spätherbst 1938.

Zur Emigration des jüdischen Ehepaares 1939:

Auf Grundlage der Akten ist anzunehmen, dass die Ausreise der Oppenheims nach Südafrika zwischen Januar und März 1939 erfolgte. Max Oppenheim erkundigte sich bei der DAL Deutsch-Afrika-Linien über die Reisekosten für eine Schiff- und anschließende Zugfahrt am 19. Januar 1939 von Hamburg via Durban nach Lobatse. Am 8. März 1939 schrieb Max Oppenheim bereits aus Lobatse (heute Botswana) einen Brief an die Devisenstelle Magdeburg.

Um eine „Steuer- und Kapitalflucht“ der Oppenheims zu verhindern, berechnete die Devisenstelle Magdeburg dem Ehepaar folgende Abgaben: die „Reichsfluchtsteuer“ mit 26.450 RM, die „Judenvermögensabgabe“ mit 28.000 RM und die „Golddiskonto-Abgabe“ (Dego-Abgabe) mit 8.600 RM. Die Entrichtung der Abgaben unterlag der Überprüfung und Kontrolle der Zollfahndungsstelle und der Gestapo-Stelle. Die Dego-Abgabe steht hierbei in Verbindung mit dem einzureichenden Umzugsverzeichnis, in welchem die Oppenheims jeden Hausratsgegenstand unabhängig von seinem materiellen Wert angeben mussten. Für die zur Mitnahme nach Südafrika angemeldeten Pelzwaren (dokumentiert sind 116 Felle) mussten die Oppenheims auf Anordnung der Zollfahndungsstelle eine 300-prozentige Abgabe leisten, die sich auf insgesamt 63.050 RM belief. Zur Entrichtung aller geforderten Abgaben musste das Ehepaar Oppenheim fast all seine Vermögenswerte auflösen und war de facto wirtschaftlich ruiniert. Diverse Sicherungsanordnungen der Devisenstelle seit 1939 belegen zudem, dass den Oppenheims nach ihrer Ausreise der Zugriff auf noch bei der Commerzbank vorhandene Geld- und Wertpapierwerte verweigert wurde. Die Devisenstelle beabsichtigte 1941, das Ehepaar auszubürgern und das Vermögen einzuziehen.

Zum Zusammenwirken von Finanzverwaltung und Geheimer Staatspolizei bei der Ausplünderung der Familie Oppenheim:

Der Fall Oppenheim kann als exemplarisch für die radikalisierte Arbeitsweise von Devisenstellen im Dienste der NS-Machthaber und damit für den Verdichtungsprozess der NS-Finanzverfolgung angesehen werden. Die Fallanalyse ermöglicht die Rekonstruktion mehrerer Kooperationsbeziehungen der beteiligten Institutionen und skizziert die Kriminalisierung von jüdischen Emigrantinnen und Emigranten. Mehrere NS-Richtlinien fanden im Fall Oppenheim Anwendung: weit überhöhte Abgaben für die Transferierung von Devisenerlösen ins Ausland, die Möglichkeit „Vermögen zu Gunsten des Reiches einzuziehen“, die Versteigerung des im Inland verbliebenen Umzugsgutes und schließlich das beschleunigte Ausbürgerungsverfahren, das 1941 eingeleitet wurde, nachdem das Ehepaar Oppenheim keinen finanziellen Nutzen mehr für das Deutsche Reich hatte.

Um die „finanzielle Ausplünderung“ der Familie Oppenheim zu Gunsten der deutschen Wirtschaft überhaupt „legalisiert“ erreichen zu können, mussten die Oppenheims nicht nur Umzugsverzeichnisse erstellen, sondern eine detaillierte Auflistung aller Vermögenswerte bei der Devisenstelle Magdeburg einreichen. Diese beinhaltete Bargeld, Vermögen auf mehreren Privat- und Geschäftskonten sowie Wertpapier- und Aktienanlagen, die zur Bezahlung der steuerlichen Abgaben aufgelöst werden mussten. Die Aktienverkäufe und die Transferierung der Devisenerlöse bzw. die Umwandlung in Naturalien für die Preußische Staatsbank, waren im Fall Oppenheim nur durch die Beteiligung der Commerz-Privat-Bank möglich.

Neben der Devisenstelle kamen der Staatspolizeileitstelle, der Zollfahndungsstelle, dem für die Oppenheims zuständigen Finanzamt Magdeburg-Nord und den genannten Banken entscheidende Rollen zu. Die Staatspolizeileitstelle agierte im Fall Oppenheim als einzige Sicherheitsbehörde und sammelte selbst Informationen zur geplanten Auswanderung. Dabei ermöglichte die Anweisung des Polizeiinspektors Stange, „in eigener Zuständigkeit Maßnahmen zu treffen, um Steuer- und Kapitalflucht zu verhindern“, den genannten Behörden einen wichtigen Handlungsspielraum. Die Anweisung gleicht einer rechtlichen Verfolgung der Oppenheims von Amts wegen, da „Steuer- und Kapitalflucht“ als devisenrechtliches Vergehen gewertet wurden, wodurch die betroffenen Auswandernden kriminalisiert wurden und ihr Vermögen schließlich „zu Gunsten des Reiches eingezogen“ werden konnte. Gemäß dieser Einschätzung fanden die im Fall der Familie Oppenheim benannten Abgaben auf Grundlage der NS-Richtlinien Anwendung und führten den finanziellen Ruin des Ehepaares herbei.

Ein Brief, den Max Ludwig Oppenheim im März 1939 aus dem heutigen Botswana sandte, belegt, dass die Ausreise des Ehepaares geglückt war, ebenso wie auch bei ca. 5.500 weiteren jüdischen Geflüchteten, die laut einer Statistik der Bundeszentrale für politische Bildung zwischen 1933 und 1941 Südafrika erreicht haben.

Nach ihrer Flucht standen die Oppenheims weiter mit der Devisenstelle in Verbindung, da sie mehrfach den Zugriff auf noch vorhandene Vermögenswerte beantragen  mussten, um im Deutschen Reich verbliebene Verwandte finanziell unterstützen zu können. Diese Anträge wurden mehrheitlich abgelehnt. Im September 1941 wurden 58 Kilogramm des noch am Hamburger Freihafen verbliebenen Umzugsgutes der Familie durch die Staatspolizeileitstelle Hamburg beschlagnahmt und zur Versteigerung freigegeben. Bis 1941 versuchte die Devisenstelle Magdeburg mindestens zweimal, das Ehepaar auszubürgern und das verbleibende Vermögen „zu Gunsten des Reiches einzuziehen“.