28. Halle-Forum

Proteste hinter dem „Eisernen Vorhang“: Reaktionen in der DDR und Zusammenarbeit der Geheimdienste der sozialistischen Länder

Halle-Forum vom 16. bis 17. November 2023

Beim diesjährigen Halle-Forum standen Formen des Widerstandes gegen die kommunistische Diktatur und dessen Vernetzung in Polen, der CSSR und der DDR im Fokus der Veranstaltung. Während mit fortrückendem Alter der DDR sich auch der Widerstand verstärkte, intensivierte sich zugleich die Zusammenarbeit der Staatssicherheit mit den Sicherheitsorganen der Staaten des sozialistischen Lagers bei der Überwachung und Verfolgung von Oppositionellen und Fluchtwilligen.

Außerhalb des Programms bestand am 16. November die Möglichkeit, die JVA „Frohe Zukunft“ (ehemals Jugendhaus Halle) sowie die Sonderausstellungen „Zwischen den Welten. Aufnahmen des Fotografen und Kameramannes Albert Ammer“ und „MENSCHEN RECHT FREIHEIT PROTEST – Der Aufstand vom 17. Juni 1953 in Sachsen-Anhalt“ in der Gedenkstätte ROTER OCHSE in Halle zu besuchen. Das Programm des Halle-Forums wurde mit Grußworten von Dr. Kai Langer (Direktor Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt), der Landesbeauftragten Birgit Neumann-Becker und der Kulturbeigeordneten der Stadt Halle Dr. Judith Marquart eröffnet. Es folgten mehrere Panels. Dr. Helmut Müller-Enbergs (Odense) gab einen Impulsvortrag zu Widerstand und seinen Ausprägungsformen im sogenannten „Bruderland“. Dabei erklärte er zunächst, wie schwierig es ist, eine Definition von „Widerstand“ zu fassen. So gehöre die Abstimmung mit den Füßen, also die Flucht aus der ehemaligen DDR ebenfalls zum Widerstand gegen das Regime hinzu. Aber auch kleinere Formen wie das Hören von verbotener Musik, das herumdrehen an der Fernsehantenne um West-Fernsehen zu schauen sei ebenfalls unter Widerstand zu verstehen. Anschließend gab der tschechische Historiker Luděk Navara einen Überblick über die Vernetzung der Opposition in den Staaten des sozialistischen Lagers. Er ging vor allem auf die Schwierigkeiten der Kontaktaufnahme ein, da viele DDR-Bürger eine Inhaftierung aufgrund „staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme“ ins Ausland oder gar Spionage befürchteten. Zudem waren die Wege der Kommunikation aus der DDR raus stark eingeschränkt, vor allem durch die durch das MfS aufwendig betriebene Post- und Telefonkontrolle. Zum Abschluss stellte Herr Navara den 2008 von Miroslav Kasáček und ihm gegründeten Verein Paměť vor. Haupttätigkeit des Vereins ist die Ausarbeitung und Präsentation von Projekten, welche sich mit Geschehnissen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen, die weitreichende Auswirkungen auf den Lebensalltag der tschechischen Bürger hatten. Dabei stehen vor allem die Maueropfer an der Grenze zur DDR im Fokus.

Am Abend hatten die Veranstalter in die Gedenkstätte ROTER OCHSE zur Lesung mit Peter Wensierksi zum Buch „JENA-PARADIES. Die letzte Reise des Matthias Domaschk“ eingeladen. Der Bürgerrechtler Matthias Domaschk erreichte traurige Berühmtheit, als er 1981 auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier zusammen mit drei weiteren Jenaer festgesetzt und verhaftet wird. Zwei Tage später ist Matthias Domaschk nach einem Verhör in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Gera tot.

Der zweite Tag des Halle-Forums startete mit einem Panel, das durch den Impulsvortrag des polnischen Historikers Prof. Dr. Tytus Jaskułowksi eröffnet wurde. Er beleuchtete die Zusammenarbeit des MfS mit den Sicherheitsdiensten der sogenannten „Bruderstaaten“ und stellte dabei fest, dass jedes Land lieber konspirativ als offen mit den Kollegen umging. Selbst bei länderübergreifenden Fluchtversuchen über die sozialistischen Nachbarländer gestaltete sich die Informationsweitergabe der Staatssicherheit schwierig, so stellte man den Amtskollegen immer nur selbst verfasste Zusammenfassungen des Aktenmaterials zur Verfügung, niemals aber die Originale trotz des Bewusstseins, das dies enorme Skepsis und Zweifel nach sich ziehen würde. Felix Ludwig (Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn) ergänzte dazu, dass die Menschen aus Osteuropa kaum im Fokus der Grenzüberwachung durch den Staatssicherheitsdienst in der DDR lagen. Die konkreten Gründe dafür könnten aber heute nicht mehr im Detail rekonstruiert werden. Auffällig sei jedoch, so Dr. Daniel Bohse (Gedenkstätte Moritzplatz), dass ca. 12 Prozent der in der Untersuchungshaftanstalt des Staatssicherheitsdienstes am Moritzplatz Magdeburg ausländische Bürger aus verschiedenen Staaten waren, wie unter anderem aus Ungarn, Tschechien, Jugoslawien – sogar zwei britische Soldaten waren unter den Inhaftierten.

Im Anschluss folgte ein Zeitzeugengespräch mit Christian Radeke (Brandenburg), Anne Hahn (Berlin) und Michael Teupel (Halle), die alle wegen versuchter Republikflucht durch die Staatssicherheit inhaftiert worden sind. Die heutige Autorin Anne Hahn versuchte im Mai 1989 über Aserbaidschan in den Iran zu gelangen, wurde dort festgenommen und schließlich in die DDR überstellt. Zu einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, erlebte sie den Mauerfall in Hohenleuben und wurde im Rahmen einer Amnestie Ende November 1989 entlassen. Ein ähnliches Schicksal erfuhr Michael Teupel, der 1980 über Ungarn in das blockfreie Jugoslawien gelangen wollte und dabei festgenommen worden ist. Er wart 18 Jahre alt, als er in den ROTEN OCHSEN nach Halle kam und dort 6 Monate in Untersuchungshaft saß. Später wurde kam er in den Strafvollzug nach Brandenburg Görden und musste dort schwere Zwangsarbeit verrichten.

Zum Abschluss des Halle-Forums gab Marit Krätzer (Halle) noch einen Einblick in die aktuelle Situation der Antrangsstellungen und Veränderungen im Stasi-Unterlagen-Archiv in der Außenstelle Halle. Dr. Detlev Rein (Bonn) informierte die Anwesenden über die Aufgaben der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge und die Möglichkeiten zur Unterstützung für Betroffene. Dr. Steffi Lehmann (Chemnitz) stellte in einer anschaulichen Präsentation den frisch sanierten Lern- und Gedenkort Kassberg-Gefängnis vor. Wir wünschen den Kollegen für Ihre neuen Aufgaben in der Gedenkstätte alles Gute.