Fachtag der Landesbeauftragten

Gesundheitsschäden durch langwierige Rehabilitierungsverfahren und Begutachtungen bei Betroffenen von in der DDR erlebter politischer Gewalt

Fachtag der Landesbeauftragten am 10. November 2023 im Roncalli-Haus

Das Dokumentationszentrum hat am 10. November an Fachtag der Landesbeauftragten von Sachsen-Anhalt teilgenommen. In der DDR waren zahlreiche Menschen von staatlichen Verfolgungs- und Zersetzungsmaßnahmen betroffen, welche tiefe psychosoziale Spuren hinterlassen haben. Auch heute leiden die Betroffenen noch unter den Gesundheitsschäden durch die erlebte politische Gewalt. Neben den ehemaligen politischen Gefangenen leiden frühere Heimkinder, verfolgte Schüler, Opfer von Zersetzungsmaßnahmen der Staatssicherheit, Zwangseingewiesene des Gesundheitswesens der DDR, Opfer verunreinigter Medikamente sowie Opfer des Dopingsystems des DDR-Leistungssports unter den Spätfolgen. Die Herleitung der Kausalität von Traumafolgestörungen zur erlebten politischen Gewalterfahrung im Rehabilitierungsverfahren und in der Begutachtung Betroffener von DDR Unrecht sind insbesondere für die Arbeit von Beratern, Psychologen, Therapeuten, Ärzten und Juristen und Mitarbeitende in Landesverwaltungsämtern bedeutsam.

Im Rahmen des Fachtages wurden die nach wie vor bestehenden Belastungen der Opfer durch die langwierigen Rehabilitierungsverfahren aufgezeigt. Zahlreiche Betroffene befinden sich in einem langjährigen Prozess im Kampf um die gerichtliche Anerkennung ihrer durch die Haft bedingten gesundheitlichen Folgeschäden. Herr Michael Teupel von der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) berichtete den Teilnehmenden davon, dass er bereits seit 13 Jahren um die gerichtliche Anerkennung kämpft. Dabei hat er mehrere Gutachten durchlaufen, die offensichtlich keiner einheitlichen Vorgehensweise oder einem verbindlichen Fragenkatalog unterliegen. Erst durch den Vortrag von Dr. med. Ferdinand Haenel aus Berlin (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) erfuhrt er, dass die Gutachter nicht verpflichtet sind, die Betroffenen überhaupt nach der Haft zu fragen. Im Plenum war unstrittig, dass bei einer Begutachtung ohne Rücksichtnahme auf die Haftzeit nur ein Gutachten zum Nachteil des Betroffenen erstellt werden kann. Dr. med. Karl-Heinz Bomberg, der selbst Betroffener und auf die Behandlung Betroffener politischer Verfolgung in der DDR spezialisiert ist, erfuhren wir, dass ein Betroffener auch das Recht hat, ein Gutachten abzubrechen, wenn er sich nicht adäquat behandelt fühlt. Die Resonanz im Publikum zeigte, dass darüber bei den Betroffenen keine Aufklärung herrscht. Prof. Dr. Heide Glaesmer (Leiterin des BMBF-Verbundprojekts Testimony – Erfahrungen in DDR-Kinderheimen) betonte, dass laut der Befunde des Testimony-Projekts 26% der Betroffenen an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung leiden; fast 33% der ehemaligen politischen Häftlinge erfüllen heute die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung. Es herrschte Einigkeit darüber, dass an den Bund die Forderung für eine Beweislastumkehr erfolgen sollte, damit die Betroffenen künftig nicht mehr nachweisen müssen, dass die Gesundheitsschäden, unter denen sie heute leiden ausschließlich haftbedingt sind, sondern die Gerichte und Versorgungsämter den Betroffenen nachweisen sollten, dass dies nicht so ist.